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Frauen bauen

22. Februar 2022

Von wegen reine Männersache: Architektinnen befinden sich im Vormarsch, denn es ist nicht mehr zu übersehen, dass 2022 bereits mehr als die Hälfte der Studierenden Frauen sind, die Räume, Gebäude und ganz Städte für sich erobern.


Von Barbara Jahn


Lange hat es gedauert, viele Tränen, Enttäuschungen und Kraftakte, bis Architektinnen endlich die gebührende Anerkennung erlangten, die ihnen heute respektvoll zuteilwird. Geschafft haben dies die Pionierinnen wie Waltraud Blauensteiner, Martha Bolldorf-Reitstätter, Ella Briggs, Friedl Dicker, Hermine Frühwirth, Helen Koller-Buchwieser, Leonie Pilewski-Karlsson, Eugenie Pippal-Kottnig, Lionore Regnier-Perin, Helene Roth, Lilia Skala, Rosa Weiser und Liane Zimbler, die alle zwischen 1880 und 1920 geboren wurden und eine neue Kategorie einer berufstätigen Frau ins Leben riefen. Sie waren es, die auf die verschiedensten Weisen in die Männerdomäne eindrangen und sich die Wertschätzung der männlichen Kollegen eroberten. Es gäbe viele Architektinnen, die es wert wären über sie zu schreiben, ihren beruflichen Werdegang zu beleuchten und mehr über ihre Denkweise zu erfahren. Stellvertretend – denn 2022 steht unsere Artikelserie ganz im Zeichen der Architektur von Frauen – haben wir vier prägnante Persönlichkeiten ausgesucht, die in der jüngsten Vergangenheit, Gegenwart und in nächster Zukunft wieder in die Schlagzeilen geraten (sind). In den diesjährigen Ausgaben unseres Newsletters präsentieren wir interessante, internationale Projekte, die ein neues, spannendes und vielleicht für so manchen noch unbekanntes Bild der lebendigen weiblichen Architekturszene zeichnen werden.

 


Eileen Grays E.1027 am Cap Martin in Roquebrune: Der Villa wurde von der Cap Modern Association mit der sensiblen Restaurierung in den Originalzustand wieder neues Leben eingehaucht.
Foto: © Manuel Bougot


Eines gleich vorweg: Obwohl sie in unterschiedlichen Regionen der Welt aufgewachsen sind, entdeckt man viele Gemeinsamkeiten. Nicht nur, dass alle in wirtschaftlich guten bis zu sehr privilegierten Verhältnissen aufgewachsen sind, haben sie auch Hülle und Innenleben stets als eine Einheit betrachtet. Vielleicht bedienen sie einerseits sogar ein gewisses Klischee, das Frauen gerne als die „besseren“ Einrichterinnen betrachten lässt. Andererseits öffneten sie damit auch unentdeckte Türen oder vielleicht sogar Schleusen, die nachfolgenden oder zeitgenössischen Männer-Generationen als Architekt das Yin und Yang des Berufs näherbrachten.

 


Mit größtem Planungsgeschick hat Eileen Gray jeden Zentimeter perfekt ausgenützt, um anderes richtig wirken zu lassen – ein brillantes Raumverständnis, das sogar Le Corbusier neidisch werden ließ. 
Foto: © Manuel Bougot


Nun, unsere Reise beginnt 1878, wo im irischen Wessex Eileen Gray geboren wurde. Mit 20 Jahren begann sie an der Slade School of Art in London, eine der angesehensten Kunstschulen Englands, zu studieren und blieb schließlich in Paris hängen, wo sie ihr Studium an der École Colarussi und an der Académie Julian fortsetzte. Schon bald begann sie eigene Möbelentwürfe zu gestalten und tauchte durch die Bekanntschaft des Herausgebers von L´Architecture Vivante, Jean Badovici, Architekturgrößen wie Gerrit Rietveld und Le Corbusier kennen. Durch ihr Möbeldesign bereits eine gewisse Berühmtheit erlangt, ließ sie sich von Badovici überreden, sich auch in der Architektur zu versuchen: Ab 1925 begann sie an der Küste der französischen Riviera ihr erstes selbst entworfenes, L-förmiges Haus namens E.1027 zu errichten, in dem sie mit ihrem Lebensgefährten schließlich lebte. Es zeichnet sich durch den innigen Dialog mit dem Meer und dem Strand aus, ein Inbegriff der modernen maritimen Architektur, die im Inneren mit dem raffiniert geplanten Einbaumobiliar und brillanten Einzelstücken staunen lässt. Dass eine Frau so etwas kreieren kann, war dem heimlich beeindruckten Le Corbusier ein Dorn im Auge – seine Eifersucht auf dieses Können verleitete ihn zum fatalistischen Aktionismus, etwa mit einer banalen Hütte am Nachbargrundstück zu beleidigen oder die Wände des Hauses, zu dem er als Freund des Paares Zutritt hatte, großflächig zu bemalen. In weiterer Folge zog Gray aus, verließ Badovici und baute sich, nicht weit entfernt, ein neues Haus oberhalb von Menton.

 


Die meisten von Eileen Grays Möbelklassikern wie der Bibendum Sessel und der Adjustable Table, die beide auch in Grays Erstlingswerk standen, werden heute von Classicon produziert.
„Um etwas zu schaffen, muss man zuerst alles in Frage stellen.“ (Eileen Gray)
Foto: © ClassiCon/ Hassos

 

Mit E.1027 hat Eileen Gray eine Architekturikone geschaffen, die mit ihrem Flachdach und den hohen Fenstern bis heute begeistert. Die Wände hatte sie absichtlich weiß gelassen und mit den Einbaumöbeln eng verknüpft, sodass alles andere sich in voller Pracht wirken konnte – sowohl der raum als auch die berühmten Solitärmöbel wie der Adjustable Table, ihre Teppiche oder der Bibendum Sessel. Nach Jahrzehnten der Besitzerwechsel und des Verfalls wurde das Gebäude, das sich heute im französischen Staatseigentum befindet, von der Cap Modern Association behutsam nach Originalfotografien restauriert und ist seit kurzem mit Führungen für Besucher geöffnet.

 


Die Frankfurter Küche – für Margarete Schütte-Lihotzky Ruhm und Fluch zugleich. 1989 wurde sie originalgetreu im Wiener Museum für Angewandte Kunst nachgebaut und ist fixer Bestandteil der Sammlung.
Foto: ©  MAK / Gerald Zugmann, Georg Mayer

 

Mehr als 1.000 Kilometer vom idyllischen Cap Martin entfernt, in Wien, machte sich die 1897 geborene Margarete Schütte-Lihotzky ans Werk. Sie studierte als erste Frau an der K. & K. Kunstgewerbeschule, die Vorläuferin der heutigen Universität für Angewandte Kunst, wo sie noch gar nicht so bekannten Künstler wie Josef Hoffmann oder Oskar Kokoschka kennenlernte. Auch sie wurde von den männlichen Kollegen belächelt, die einer Frau niemals zutrauten, ein Haus zu bauen, fand jedoch in ihrem Professor Oskar Strnad einen hellhörigen und wohlwollenden Förderer, der sie ermunterte, 2017 am Wettbewerb für Arbeiterwohnungen teilzunehmen, wo sie erstmals in das Thema des sozialen Bauens hineinschnupperte. Gemeinsam mit Adolf Loos, später dann mit Ernst Egli arbeitete sie an Wohnhaussiedlungen, entwickelte Kernhaustypen und 1922 – also genau vor 100 Jahren – arbeitete sie an den großen Siedlerausstellungen mit. Anfang der 30er Jahre entwarf sie zwei Reihenhäuser für die Wiener Werkbundsiedlung – von 32 Architekten war sie die einzige Frau.

 


Auf lediglich 35 und 36 Quadratmetern Grundfläche entstanden die beiden kompakten Häuser für die Wiener Werkbundsiedlung, die Margarete Schütte-Lihotzky als einzige Frau mitgestalten durfte. 
„Ich habe mir nie vorgestellt, Bahnhöfe oder Kulturpaläste zu bauen. Ich wollte Architektin werden, weil ich zur Linderung des Wohnungselends beitragen wollte.“ (Margarete Schütte-Lihotzky)
Foto: ©  Werkbundsiedlung Wien / Martin Gerlach / Wien Museum

 

Zeit ihres Lebens haderte sie damit, stets mit der Frankfurter Küche in Verbindung gebracht zu werden, wobei sie sich wünschte, diese niemals entworfen zu haben. Sie gilt als Prototyp der modernen Einbauküche, mit entlehnten Ideen aus der Speisewagenküche und basierend auf Griff- und Schrittersparnis. Immerhin wurde die Küche 12.000 mal in den Frankfurter Siedlungen verbaut. Im Laufe ihres – auch politisch – sehr bewegten Lebens realisierte sie unter anderem einen Kindergarten, zwei Gemeindebauten, diverse Privathäuser und ein Verlagsgebäude. Aktiv bis ins hohe Alter – Margarete Schütte-Lihotzky wurde 103 Jahre alt – lebte sie bis zuletzt in einer Wohnung, die ihren architektonischen Idealen entsprach. 2022 wird die Wohnung, in der die erste österreichische Architektin ihre letzten 30 Lebensjahre verbrachte und die mit ihrer Originaleinrichtung unter Denkmalschutz steht, als Museum eröffnet.

 


Die Casa de Vidro in São Paulo entwarf Lina Bo Bardi für sich und ihren Mann, die in Brasilien eine neue Heimat fanden. Das Haus wurde sehr bewundert und setzte neue Maßstäbe.
Foto: ©  Instituto Bardi

 

1914 in Rom und damit gleich im Ersten Weltkrieg geboren, als Erwachsene vom Zweiten Weltkrieg nachhaltig beeinflusst: Lina Bo Bardi, die damals noch Achillina Bo hieß, studierte Architektur in ihrer Heimatstadt, eine Ausbildung, die sie mit einem Mutter-Kind-Betreuungszentrum als Diplomarbeit abschloss, und heuerte gleich danach beim angesehenen Mailänder Architekten Giò Ponti an, bei dem sie einige Jahre arbeitete. Bald darauf, 1940, eröffnete sie ihr eigenes Architekturbüro, es folgten sehr schwierige Jahre. Für Pontis Zeitschrift Domus unternahm sie eine Reise durch das zerstörte Italien – diese Eindrücke bestärkten sie, mit ihrem Mann, dem Kritiker, Galeristen und Journalisten Pietro Maria Bardi, nach Brasilien auszuwandern, wo sie ein neues Leben begann – auch architektonisch.

 


Der Bowl Chair ist Lina Bo Bardis bekanntestes Möbelstück, das heute vom italienischen Möbelhersteller Arper reproduziert wird - als Klassiker der 50er Jahre immer noch sehr erfolgreich.
„Die künstlerische Freiheit galt immer als ‚individuelle’ Freiheit. Wirkliche Freiheit aber gibt es nur im Kollektiv. Es ist dies eine Freiheit der sozialen Verantwortung, die die Grenzen der Ästhetik zu sprengen vermag …“ (Lina Bo Bardi)
Foto: ©  Instituto Bardi
 

 

Zunächst mit Ausstellungen sehr erfolgreich und angekommen in illustren Kreisen, denen auch Oskar Niemeyer angehörte, baute Lina Bo Bardi für sich selbst in ihrer neuen Heimat São Paulo die Casa de Vidro, das gläserne Haus, mit dem sie viel Aufsehen erregte und zahlreiche Aufträge zur Folge hatte. Dazu gehören unter anderem das schwebende Museu de Arte de São Paulo, das Kultur- und Sportzentrum Fábrica da Pompéia, die Prefeitura Municipal oder die Kirche Espirito Santo do Cerrado. Für einige dieser Gebäude entwarf sie auch die Inneneinrichtungen. Besonders bekannt und beliebt ist ihr legendäre Bowl Chair, eine gepolsterte Halbkugel, die auf einen Metallring aufgesetzt ist. Knapp 30 Jahre nach ihrem Tod 1992 wurde sie nun bei der Architekturbiennale in Venedig mit dem Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.

 


Ihre Architektur ist wie eine Formenexplosion: Das Heydar Aliyev Centre in Baku, Aserbeidschan, ist nur eines von vielen Werken aus der Feder von Zaha Hadid, die auf extravagante Art die Prinzipien der Statik und Schwerkraft außer Kraft zu setzen scheinen.
Foto: ©  ZHA/ Iwan Baan

 

Die vierte im Bunde ist Zaha Muhammad Hadid, die 1950 in Bagdad in eine reiche Investorenfamilie hineingeboren wurde. Die sehr westlich orientierte Familie bot der Tochter sämtliche Möglichkeiten, die bereits als Kind ihre eigene Einrichtung entwarf. Nicht nur ihr Zuhause im Bauhaus-Stil faszinierte sie, sondern auch Giò Ponti, der gerade das irakische Planungsministerium errichtete – eine Replik des Mailänder Pirelli Towers. Kein Wunder, dass sie schon mit elf Jahren beschloss, Architektin zu werden. Nach einem kurzen Ausflug zu Mathematik begann sie genau vor 50 Jahren – 1972 – ihr Architekturstudium an der AA - Architectural Association School in London. Bereits ihren ebenfalls noch sehr jungen Ziehvätern Rem Koolhaas und Bernard Tschumi fiel sie als besonders begabt auf. Koolhaas engagierte sie für sein Büro, allerdings entschloss sie sich, selbst als Dozentin an der AA zu arbeiten und gründete schließlich 1980 ihr eigenes Büro, das heute ihr langjähriger Wegbegleiter Patrik Schumacher unter ihrem Namen weiterführt.

 


Entwerfen als reines Spiel: Zaha Hadid ließ sich stets von Landschaften und dem, was die Erosion daraus macht, inspirieren.
„Architektur ist wie Schreiben. Man muss es immer wieder überarbeiten, damit es mühelos aussieht.“ (Zaha Hadid)
Foto: ©  ZHA/ Steve Double

 

Zaha Hadid hat mehrere Generationen von Studierenden in ihren Bann gezogen und hat mit ihrer Architektur den rechten Winkel praktisch abgeschafft. Lange kämpfte sie gegen Windmühlen, ihre Gebäude galten unberechtigterweise als „unbaubar“. So gelang ihr der richtige Durchbruch erst 1990 mit dem Vitra-Feuerwehrhaus. Es folgten das phæno in Wolfsburg, die Sprungschanze und die Hungerburgbahn in Innsbruck, das BMW-Zentralgebäude in Leipzig, das London Aquatics Centre, das Guangzhou Opera House, das Kunstmuseum MAXXI, das Riverside Museum und unzählige weitere Ikonen. Auch im Design machte sie sich einen Namen, selbstverständlich blieb sie auch hier ihren charakteristischen „Kurven“ treu. Man könnte hier sagen, sie reiht sich hier in die Riege der außergewöhnlichen Architektinnen ein. Doch eines ist ein absolutes Alleinstellungsmerkmal: Sie wurde 2004 – wohlgemerkt neben vielen hochkarätigen internationalen Auszeichnungen – als erste Frau mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet.

 


Das Opernhaus von Guangzhou ist selbst Teil der Dramaturgie, deren Regisseurin Zaha Hadid ist: keine rechten Winkel, schiefe Wände und Decken, ineinanderfließend geformte Zuschauergänge, Wandeinschnitte und Blickverbindungen – sie alle spielen mit der Raumwahrnehmung der Besucher.
Foto: ZHA

 

Alle vier Architektinnen waren sehr eng mit der Welt der Medien verbunden: Eileen Grays E.1027 widmete Jean Badovici eine ganze Ausgabe seiner Zeitschrift L´Architecture Vivante. Margarete Schütte-Lihotzky verfasste bereits 1921 ihren ersten Artikel (Einiges über die Einrichtung österreichischer Häuser unter besonderer Berücksichtigung der Siedlungsbauten. Schlesisches Heim. Heft 8. Breslau 1921) und war auch später, vor allem in den 1950er Jahren publizistisch tätig. Lina Bo Bardi arbeitete während des Zweiten Weltkriegs als Grafikerin und Journalistin und übernahm 1943 sogar die Chefredaktion der Architekturzeitschrift Domus. Zaha Hadid schließlich war nicht nur durch ihre außergewöhnliche ecken- und kantenlose Architektur, sondern auch durch ihre Person selbst ein Medienstar und ist es auch heute noch.


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